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"Das Sprintlernen eignet sich besonders zum Erwerb umfassenderer Handlungsfähigkeiten"

Im Projekt "in MEDIAS res" ist ein branchenübergreifendes Konzept zur Förderung von Medienkompetenz entstanden: Agiles Sprintlernen. Der Kompetenzerwerb folgt hier nicht traditionellen Mustern. Vielmehr werden Lernende zu Mitgestaltern/-innen ihres Lernwegs. Zur Seite steht ihnen dabei ein/eine Sprintbegleiter/-in.

Das Vorhaben "in MEDIAS res" ist vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF) im Rahmen des Programms "Digitale Medien in der beruflichen Bildung" gefördert worden. Angelehnt an die Prinzipien der SCRUM-Methode, einer Vorgehensweise des Projektmanagements, werden beim Agilen Sprintlernen Teams aus Mitarbeitenden unterschiedlicher Qualifikationen und Kompetenzen gebildet, die selbstständig - in kurzen Zeitrahmen - Lernwege erarbeiten und beschreiten. Im Gespräch mit qualifizierungdigital.de stellt Gabriele Korge (Fraunhofer IAO) das Konzept, das sich bereits in der Praxis bewährt hat, vor.

qualifizierungdigital.de: Vor welchem Hintergrund ist die Idee für "in MEDIAS res" entstanden?

Korge: Wir haben beobachtet, dass das Lernen in Unternehmen teilweise erheblich der Realität hinterherhinkt: Für Lernbedarf, der am Arbeitsplatz entsteht, kann nicht schnell genug ein passendes Angebot bereitgestellt werden. Die Menschen behelfen sich dann mit informellem Lernen. Typisch dafür sind die Lernstrategien Ausprobieren, einen Kollegen oder eine Kollegin fragen oder Nachschlagen.

Dieses Lernen hat unbestritten seine Vorteile: Die Motivation ist hoch, das Lernen erfolgt bedarfsorientiert und das Gelernte kann unmittelbar angewendet werden. Es hat aber auch seine Grenzen, da man sich dadurch nur innerhalb der erlernten Verhaltensmuster entwickeln kann. Ganz neue methodische Ansätze lassen sich so allenfalls zufällig entdecken. Die Folge ist etwa, dass Webkonferenz-Anwendungen wie Telefonkonferenzen genutzt werden. Das eigentliche Potenzial dieser neuen Medientechnik bleibt jedoch ungenutzt.

Und hier setzt "in MEDIAS res" an?

Ja, wir wollten das Beste aus beiden Welten möglich machen. Mit unserem Lernansatz sollte Lernen so kurzfristig, bedarfsorientiert und umsetzungsnah erfolgen wie im informellen Lernen. Er sollte aber auch garantieren, dass die Lernschritte Reflexion und Generalisieren erfolgen. Das Nachdenken über das Lernergebnis und das Ableiten eines neuen Handlungsmusters sind feste Bestandteile des Agilen Sprintlernens.

Worin unterscheidet sich das Agile Sprintlernen noch von "traditionellen" Lernmethoden?

Die Lernenden bleiben weitgehend in der Eigenverantwortung für ihr Lernen – und dennoch gibt es einen klaren Fahrplan, was es zu lernen gilt und wann ein Lernziel erreicht ist. Dazu haben wir uns von Konzepten aus der Arbeitswelt von IT-Unternehmen inspirieren lassen - genauer gesagt von "SCRUM". Die Programmierarbeit ist schließlich geprägt von beiden Aspekten: Um die Zusammenarbeit zwischen vielen beteiligten Spezialisten/-innen abzustimmen und an einem Ziel auszurichten, bedarf es klarer formaler Vorgaben. Um auf ungeplante Herausforderungen reagieren zu können, braucht es aber auch Spontanität und Flexibilität sowie große Eigenverantwortung.

Unter Berücksichtigung von Erkenntnissen aus der Lernforschung sowie orientiert an SCRUM und dem aus der Ausbildung bekannten Ansatz der Lern- und Arbeitsaufgaben, haben wir das didaktische Rahmenkonzept zum agilen Sprintlernen entwickelt.

Läufer in Startblöcken
Im Projekt "in MEDIAS res" ist ein Lernkonzept entstanden, mit dessen Hilfe Mitarbeitende in "Lern-Sprints" befähigt werden, digitale Medien kompetent zu nutzen. Foto: Getty Images/ FangXiaNuo

Wie sehen konkrete Gestaltungselemente des Agilen Sprintlernens aus?

Definiert über das Rahmenkonzept sind die Rollen, der Lernablauf und zentrale Instrumente – mit entsprechendem Gestaltungsspielraum zur Anpassung an den Bedarf und die Situation.

Es gibt vier Rollen:

  • Der/die Auftraggeber/-in benennt das übergeordnete Lernziel und gibt die Ressourcen für das Lernen frei.
  • Die Sprintbegleitung ist verantwortlich für die organisatorisch-inhaltliche Vorbereitung des Sprintlernens und unterstützt die Lernenden methodisch.
  • Der/die Fachexperte/-in wirkt bei der inhaltlichen Vorbereitung des Sprintlernens mit und unterstützt die Lernenden auf Nachfrage fachlich bzw. gibt Feedback zu Lernergebnissen.
  • Die Lernenden unterstützen sich gegenseitig als Lernteam und lernen weitgehend selbstgesteuert.

Wie sieht der "Lern-Sprint" dann konkret aus?

Der Ablauf sieht vor, dass mehrere Lernschleifen – mit Planung, Lernetappe, Review und Retrospektive - durchlaufen werden. Zum Einstieg in eine neue Lernschleife erfolgt jeweils die Planung. Hier planen die Lernenden, was sie wann wie lernen wollen und welche Ressourcen sie dazu benötigen. Es folgt die Lernetappe, in der die Lernenden weitgehend eigenständig lernen und sich dabei gegenseitig unterstützen.

Den Anschluss jeder Lernschleife bildet die doppelte Reflexionsphase: Im Review präsentieren die Lernenden ihre Lernergebnisse und erhalten konstruktives Feedback von dem/der Fachexperten/-in.

In der Retrospektive üben die Lernenden (Selbst-) Kritik am Lernprozess: Was ist gelungen, was wollen sie zukünftig besser machen?

Dieser 4-Schritt wird mehrfach durchlaufen. So können sich die Lernenden auch in der Lernplanung üben. Und es kann jederzeit korrigierend eingegriffen werden, wenn die Lernziele etwa zu anspruchsvoll sind.

Gibt es Themen für die sich diese Methode besonders eignet?

Das Sprintlernen eignet sich besonders zum Erwerb umfassenderer Handlungsfähigkeiten. Eine durch Routine geprägte Arbeit erlernt sich aufwandsärmer und sicher auch schneller mit anderen Lernformen. Erst wenn die Arbeit durch umfassendere Zusammenhänge, Eventualitäten und ähnliches geprägt ist, ist es in hohem Maße wichtig, sich Gedanken über die Herangehensweise zu Arbeitsaufgaben zu machen, die Arbeit zu planen und Umsetzungswege zu erproben. Erst dann profitieren die Lernenden auch in dem entsprechend hohen Maß vom Nachdenken über das eigene Vorgehen.

 

"Wer das Lernen selbst sowie die Lernergebnisse kontrollieren will oder den Lernenden nicht zutraut, ihr Lernen selbst zu planen, sollte andere Lernansätze verfolgen."

 

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Agiles Sprintlernen die gewünschte Wirkung erzielt?

Es braucht eine Kultur des Zutrauens und Freiraum für selbstorganisiertes Handeln. Wer das Lernen selbst sowie die Lernergebnisse kontrollieren will oder den Lernenden nicht zutraut, ihr Lernen selbst zu planen, sollte andere Lernansätze verfolgen. Zudem hat sich gezeigt, dass die Rolle der Sprintbegleitung so anspruchsvoll wie entscheidend ist, denn sie leistet weit mehr als das, was einem Lerncoach zugeschrieben wird. So ist sie für eine konzeptgetreue Umsetzung des Sprintlernens verantwortlich und dafür, dass zum Beispiel die Lern- und Arbeitsaufgaben einer didaktischen Logik folgen und eine ganzheitliche Handlung beinhalten.

Daneben benötigt die Sprintbegleitung vor allem eine ausgeprägte Situationskompetenz: Nur, wenn sie auf neue Situationen auch angemessen und unmittelbar reagieren kann, kann das Spritlernen seine Stärken ausspielen. Werden ganz andere als die vermuteten Lernlücken offensichtlich und der Sprintbegleitung gelingt es nicht - unmittelbar in der Planungsphase - darauf mit dem Anpassen der Lern- und Arbeitsaufgaben zu reagieren, wird das Sprintlernen so starr wie des übliche, formalisierte Lernen.

Ist Agiles Sprintlernen auch rein online möglich?

Ja, wenn die Beteiligten den Einsatz der Technik zu einem Minimum geübt haben und die Technik auch das selbstorganisierte Arbeiten in Kleingruppen unterstützt, wie das etwa Kollaborationsplattformen tun. Lernplattformen, die hier eher zentralistisch auf einzelne Berechtigte setzen, die Inhalte einstellen oder Meetings anlegen, sind nicht geeignet.

Welche Erkenntnisse haben Sie durch Erprobungen in Unternehmen gewinnen können?

In über zwei Jahren haben wir das agile Sprintlernen in vier Unternehmen unterschiedlicher Branchen begleitet und evaluiert. Daraus haben wir umfassende Erkenntnisse gewonnen – zu viele, um sie hier aufzuzählen. Vieles ist aber bereits publiziert und weitere Veröffentlichungen gerade zu diesem Thema folgen. Interessierte finden die Literaturstellen über die Projektwebseite des Fraunhofer IAO, die auch weiterhin aktuell gehalten wird.                                                                                                      

In welche Richtungen kann Agiles Sprintlernen weiterentwickelt werden?

Bis jetzt haben wir das Agile Sprintlernen unter der Maßgabe erprobt, dass es ein Angebot eines Unternehmens an die eigenen Mitarbeitenden ist. Je nach Thema und Zielgruppe lohnt sich der damit verbundene Aufwand auch - bis hin zur Ausbildung eigener Sprintbegleiter/-innen.
Kleinere Unternehmen sind hier aber in einer anderen Situation: Sie haben kaum die Ressourcen bzw. die Nachfrage, damit es sich lohnt, das Sprintlernen als internes Angebot aufzusetzen.

Spannend wäre es, das Sprintlernen als Netzwerkangebot zu erproben, beispielsweise mit einem Branchenzusammenschluss, einem Arbeitgeberverband, den Gewerkschaften oder regionalen Kammern.  Zentrale Fragestellungen sind dann etwa, wie die Nachfrage aufgenommen und konkret bedient werden kann - und wie das Geschäftsmodell dazu aussehen müsste.

Bildnachweis: Privat

Hinweis: Die am BMBF-Förderprogramm "Digitale Medien in der beruflichen Bildung" beteiligten Projekte inMEDIASres und MeDiAL-4Q haben – gemeinsam mit dem Projekt Brofessio (BMBF-Förderprogramm "Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen") – die Open Access-Publikation "Agiles Lernen im Unternehmen" veröffentlicht. Das Buch steht kostenfrei als Download zur Verfügung und stellt das Konzept des agilen Lernens detailliert vor.

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